Warum werden nur elf Prozent der Fernserhfilme von Regisseurinnen
inszeniert, wo doch die Fernsehfilmabteiglungen der Öffentlich- Rechtlichen mehrheitlich von Frauen geleitet werden, fragte Blickpunkt:Film in einem zweiteiligen Themenschwerpunkt (BF
20/15 und 21-22/15)? Antworten wie „wir haben die zehn führenden deutschen Regisseurinnen angefragt, aber die hatten alle keine Zeit“
haben die Gleichstellungsinitiative von Pro Quote Regie auf den Plan gerufen. In einem offenen Brief kritisiert sie die „offen frauendiskriminierenden“ Aussagen der Branchenvertreter, die in dem Artikel zu Wort kommen. Pro Quote Regie fordert „gesetzliche Vorgaben für die gendergerechte Vergabe von öffentlichen Geldern auch bei sogenannten Auftragsproduktionen“.
Stellungnahme / Offener Brief zu dem Artikel: „ Regisseurinnen und Fernsehfilme“
Seit der Gründung von Pro Quote Regie vor knapp einem Jahr, haben sich 700 Filmschaffende, darunter 320 Regisseurinnen unseren Forderungen angeschlossen. Die Fernsehsender als wichtigste Arbeitgeber für Regisseurinnen und Regisseure haben hingegen kaum Stellung genommen. Wir begrüßen es, dass Blickpunkt:Film nun erstmals die Gatekeeper in den Redaktionen ausführlich erklären lässt, warum Ihrer Meinung nach so wenige Frauen Regieaufträge bekommen.
Die zusammengetragenen Aussagen spiegeln wider, was Pro Quote Regie als offen frauendiskriminierend anprangert und was sich de facto wie eine Art Berufsverbot auswirkt. Und es zeigt deutlich, dass man ohne gesetzliche Vorgaben für die gendergerechte Vergabe von öffentlichen Geldern auch bei den sogenannten Auftragsproduktionen nicht umhin kommt.
Ein offener Dialog ist überfällig und nötig. Wir Regisseurinnen sind bereit dazu.
Zu den Aussagen der Fernsehredakteurinnen und –redakteure und der Produzentinnen und Produzenten aus dem zweiteiligen Artikel „Fernsehfilme und Regisseurinnen“ möchten wir hier Stellung nehmen.
1. „Es gibt nicht genügend qualifizierte Regisseurinnen. Und die Guten sind über Jahre hinaus ausgebucht.“
42 Prozent der Filmhochschulabsolventen im Fach Regie sind Frauen. Filme von Regisseurinnen gewinnen überdurchschnittlich viele Preise, wie eine aktuelle Studie der Universität Rostock zeigt. Frauen sind genauso kreativ, engagiert, leistungsbereit und begabt wie ihre männlichen Kollegen. Der einzige Unterschied: spätestens nach dem Erstlingsfilm werden ihnen keine weiteren Entwicklungschancen gegeben. Es ist bekannt, dass es auch für Regisseure schwierig ist einen zweiten und dritten Film zu realisieren. Für Regisseurinnen ist die Hürde noch viel höher. Selbst bedeutende Filmpreise ziehen keine Auftragsangebote nach sich.
Im Blickpunkt:Film Interview heißt es, dass für die Regie des ZDF-Dreiteilers „Berlin Kurfürstendamm“ die „zehn führenden deutschen Regisseurinnen angefragt“ worden seien. Alle hätten wegen anderer Termine abgesagt. Unsere Recherche bei den Regisseurinnen und Agenturen hat großes Erstaunen ausgelöst. Denn zumindest zwei der angefragten Regisseurinnen hätten Zeit gehabt und den Auftrag gerne angenommen. Und viele der sogenannten „führenden Regisseurinnen“ wurden gar nicht erst angesprochen. Selbst wenn keine dieser unterstellten „Top Ten“ Zeit gehabt hätte, hätte die Produktionsfirma sicher eine Regisseurin mit einem vergleichbaren Erfahrungsprofil wie dem des letztlich ausgewählten Regisseurs gefunden. Hier offenbart sich ein branchenübergreifendes Muster: Um sich auf vergleichbarer Ebene zu behaupten, müssen Frauen ein größeres Renommee und ein gewichtigeres Portfolio mitbringen als ihre männlichen Kollegen.
Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass den Sendern und Produktionsfirmen schlicht zu wenige Regisseurinnen bekannt sind. Es ist an der Zeit, dass die Sender hier selbst aktiv werden und daran etwas ändern.
2. „Regisseurinnen scheuen den Konkurrenzkampf und viele suchen eine sichere Festanstellung, z.B. als Fernsehredakteurin. Außerdem bauen sich Frauen keine Netzwerke auf.“
Wer Regie studiert, entscheidet sich für ein ungeregeltes Berufsleben ohne starre Arbeitszeiten. Wer das nicht will, schlägt einen anderen Werdegang ein, der nur in den seltensten Fällen in die Redaktion eines Fernsehsenders führt. Es handelt sich also um zwei grundsätzlich verschiedene Wege. Fernsehredakteurinnen, die ein abgeschlossenes Regiestudium, vielleicht sogar ein oder zwei eigene Filme gedreht haben, sind eine Rarität.
Im Film wie überall gilt: ohne Arbeit keine Netzwerke. Wer nicht kontinuierlich Regie führen darf, kann die an den Filmhochschulen ausgebauten Netzwerke schlichtweg nicht halten. Die Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen wie Produktion, Kamera oder Drehbuch ziehen vorbei und sind schon um des Überlebens willen gezwungen, sich an andere Kollegen zu wenden, die besser im Geschäft sind. Ein Teufelskreis. Wir meinen: Anstatt die mangelnden Netzwerke der Regisseurinnen zu beklagen, sollten die Sender dringend ihre eigenen Netzwerke überprüfen, wenn sie – wie behauptet – nur auf eine minimale Gruppe von Regisseurinnen zurückgreifen können.
3. „Der Beruf der Regisseurin ist nicht zu vereinbaren mit Familie und Kindern.“
Zunächst ist es erstaunlich, wie stark das Thema „Regisseurinnen und Familie“ den Artikel bestimmt. Auch Kinder von Regisseurinnen haben Väter und es sind wie bei allen anderen Berufsgruppen beide Elternteile in der Verantwortung was die Kinderbetreuung betrifft. Abgesehen davon ließe sich mit verdientem Geld auch eine Kinderbetreuung finanzieren. Wie sonst lösen Schauspielerinnen, Herstellungs- und Produktionsleiterinnen, Szenen-, Kostüm- oder Maskenbildnerinnen diese Aufgabe?
Männliche UND weibliche Regisseure starten ihre Karrieren in der Regel ohne Kinder, ohne Familie, ohne Ehepartner. Die meisten Frauen werden vom System ausgebremst bevor es an die Familienplanung und –gründung geht.
Und gerade die zeitlich überschaubare Abwesenheit bei sonst relativ freier Zeiteinteilung sollte doch für Mütter und Familien ideal sein. Es ist für eine Frau mit Kindern wesentlich leichter zu organisieren, ein oder zweimal im Jahr für Dreharbeiten abwesend zu sein als kontinuierlich in einer 40-50 Stunden-Arbeitswoche zu stecken.
Traurig ist in diesem Zusammenhang, dass in dem Artikel das Beispiel einer arbeitenden Mutter, die einen Rückzugsort zum Stillen fordert, als Beispiel mangelnder Professionalität herhalten muss.
4. „Kunst funktioniert in der Regel nur mit absoluter Hingabe. Für Regisseurinnen, die Familie haben, stehen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung andere Dinge im Vordergrund. Das führt zu Mittelmaß.“
Diese Behauptung macht deutlich, wie tief – aber dennoch subtil – in die Mottenkiste der Geschlechterklischees gegriffen wird, um die Diskriminierung von Frauen in der Film- und Fernsehbranche zu rechtfertigen.
Wenn regieführende Frauen also abgelenkt oder unkonzentriert wären aus familiären Gründen, was ist dann mit Ärztinnen oder Pilotinnen, die sogar Verantwortung über Leben und Tod tragen? Ist die Quote der Kunstfehler oder der Flugzeugabstürze bei Frauen höher als bei Männern? Uns jedenfalls ist eine solche Statistik nicht bekannt. Ist gar unser Land in Gefahr, weil eine vielfache Mutter das Verteidigungsministerium führt? In diesem Punkt können wir beruhigen: Regisseurinnen, die Mütter sind, gefährden keinesfalls die Fernsehkultur. Eher könnte sie gewinnen: Denn mal abgesehen von einzelnen Produktionen bewegt sich das Fernsehen nicht unbedingt in den Sphären der Hochkultur, z.B. bei den Unterhaltungsserien des Vorabends und der Primetime. Doch gerade auf diesen Sendeplätzen, deren künstlerischer Anspruch eher gering ist und die solides Handwerk verlangen, führen Frauen noch seltener Regie als bei anspruchsvolleren Produktionen.
Auch bei den „frauenaffinen“ Freitagabendfilmen der ARD zeigt der Blick in den Diversitätsbericht des BVR: der Anteil der Regisseurinnen liegt nicht wie berichtet bei 20%, sondern durchschnittlich bei 15%. Im ZDF Herzkino am Sonntagabend sieht es mit 13% noch etwas schlechter aus. Um es richtig zu stellen, Pro Quote Regie kritisiert nicht, dass „leichte Frauenfilmstoffe eher Regisseurinnen“ überlassen werden.
Wir begrüßen es sehr, dass sich die Redaktionen der Debatte um einen höheren Frauenanteil stellen und danken Blickpunkt:Film, dass sie diese medienrelevante Plattform für die Diskussion bereit stellen.
Das Team von Pro Quote Regie
Annette Ernst, Katinka Feistl, Esther Gronenborn, Nina Grosse, Imogen Kimmel, Maria Mohr, Nathalie Percillier, Barbara Rohm, Margrét Run, Bettina Schoeller, Tatjana Turanskyi, Connie Walther.
Auf eine kurze Umfrage unter den 320 Unterzeichnerinnen von Pro Quote Regie und dem Bundesverband Regie haben sich spontan rund 50 Regisseurinnen gemeldet, die in den nächsten Jahren Kapazitäten haben, um Regieaufträge anzunehmen. Eine Liste fügen wir an. Vielleicht ein erster Schritt für den dringend notwendigen Lückenschluss:
Emily Atef, 3 Spielfilme, 25 Internationale Preise
Neelesha Bartel, 1 Kinofilm, diverse TV Produktionen, mehrere Preise
Pola Beck, 1 Kinofilm, diverse Kurzfilme, diverse Preise, u.A. Hessischer Filmpreis 2013
Bettina Bertele, 6 Fernsehfilme, u.a. Grimme Preis
Juliane Block, 2 Spielfilme, diverse Kurzfilme und Spots
Miriam Dehne, 2 Kinofilme, diverse Serien
Sabine Derfflinger, 4 Kinofilme, zahlreiche TV Produktionen, Reihen und Serien, zahlreiche Preise, u.A. Grimme Preis für Tatort
Seyhan Derin, 1 Kinofilm, 17 Serienfolgen, über 300 Dailies
Sylke Enders, 7 Kino-und Fernsehfilme, zahlreiche Preise, u.a. Lola Bester Film
Annette Ernst, 10 Kino- und Fernsehfilme, 4 Serien und Reihen, zahlreiche Preise, u.A. Grimme Preis
Katinka Feistl, 7 Kino- und Fernsehfilme, 4 Serienfolgen, zahlreiche Preise, u.a. MFG Star
Juliane Fezer, 1 Spielfilm, mehrere Preise, u.A. Silver Remi Award Worldfest Houston
Julia Finkernagel, 1 Spielfilm, diverse Serien und Reportagen
Verena S. Freytag, 3 Spielfilme, 53 Serien, mehrere Preise, u.A. Deutscher Civis Fernsehpreis
Claudia Garde, 9 Fernsehfilme, 15 Serien und Reihen, zahlreiche Preise, u.a. VFF Movie Award
KatrinGebbe, 1 Kinofilm, Spots, zahlreiche Preise, u.A. Bayerischer Filmpreis
Almut Getto, 3 Kinofilme, zahlreiche Preise, u.A. LOLA für Bestes Drehbuch
Katalin Gödrös, 3 Kino- und Fernsehfilme
Esther Gronenborn, 5 Kino- und Fernsehfilme, zahlreiche Spots, zahlreiche Preise u.a. Lola Beste Regie
Nina Grosse, 18 Kino- und Fernsehfilme, zahlreiche Preise, u.a. Bayer. Filmpreis
Cornelia Grünberg, 5 Spielfilme, 3 Dokumentarfilme, u.a. Max Ophüls Preis
Petra Haffter, 3 Kinofilme, über 80 Fernsehfilme, Serien Reihen, zahlreiche Preise, u.A. Silberner Bär
Julia von Heinz, 5 Kinofilme, diverse Preise, u.a. Lola für besten Jugendfilm
Maria van Heland, 9 Kino- und Fernsehfilme, mehrere Serienepisoden, diverse Preise, u.A. Bayrischer Filmpreis
Dagmar Hirtz, 19 Kino- und Fernsehspiele, Preise u.a. Grimme Preis
Maike Höhne, 1 Kinofilm, zahlreiche Kurzfilme, und Fernsehproduktionen
Ilse Hofmann, 16 Fernsehfilme, über 55 Serien Reihen, zahlreiche Preise, u.A. Grimme Preis
Hermine Huntgeburth, ca 22 Kino- und Fernsehfilme, zahlreiche Preise u.a. Grimme Preis
Vanessa Jopp, 9 Kino- und Fernsehfilme, 2 Serienepisoden
Christine Kabisch, 15 Fernsehfilme, über 95 Serienepisoden
Imogen Kimmel, 8 Kino- und Fernsehfilme, über 7 Serienepisoden
Isabel Kleefeld, 18 Kino- und Fernsehfilme, zahlreiche Serienepisoden, diverse Preise u.a. Grimme-Preis
Dagmar Knöpfel, 6 Kino- und Fernsehfilme, 2 Serienepisoden und Reihen, diverse Preise, u.A. Bayerischer Filmpreis
Heidi Kranz, über 13 Fernsehfilme, über 50 Serien und Reihen, diverse Preise, u.a. Publikumsbambi
Kerstin Krause, über 300 Serienepisoden und Dailies, zahlreiche Spots und Kurzfilme
Pia Marais, 3 Kinofilme
Karola Meeder, 11 Fernsehfilme und 38 Serienepisoden und Reihen
Erica von Moeller, 4 Kino- und Fernsehfilme, 5 Serienepisoden, 1 Kinodoku , diverse Preise, u.a. Förderpreis des Landes Rheinland-Pfalz
Nana Neul, 2 Kinoilme, 3 Serienfolgen
Sandra Nettelbeck, 6 Kino- und Fernsehfilme, diverse Preise u.A. Max Ophüls Preis,
Ann-Kristin Reyels, 2Kinofilme, diverse Preise, u.a. Fipresci Filmkunst Preis
Susanna Salonen, 1 Kinofilm, mehrere Dokumnetarfilme
Bettina Schoeller, 1 Kinofilm, 75 Dailies, zahlreiche Spots und Kurzfilme, diverse Preise, u.A. Publikumspreis HH
Nathalie Steinbart, 1 Kinofilm, diverse Preise u.a. Best First Feature „Berlin and Beyond“
Isabel Suba, 1 Kinofilm, diverse Kurzfilme, zahlreiche Preise u.a. Max-Ophüls Preis
Stefanie Sycholt, 5 Kino- und Fernsehfilme, diverse Preise, u.a. Deutscher Kritiker Preis
Sybille Tafel, 24 Fernsehfilme, diverse Preise, u.a. Robert Geissendörfer Preis
Monika Treut, 5 Kinofilme, 7 Dokumentarfilme, zahlreiche Preise, u.a. Filmband in Gold
Tatjana Turanskyj, 2 Kinofilme, diverse Preise, u.a. 1.Preis Oberhausen
Petra K. Wagner, 12 Kino- und Fernsehfilme, diverse Preise, u.A. Prix Europa
Connie Walther, 10 Kino- und Fernsehfilme, 3 Reihen und Serien, diverse Preise, u.a. Grimme Preis
Anne Wild, 5 Kino- und Fernsehfilme, diverse Preise, u.a. Max Ophüls Preis
Bettina Woernle, 25 Fernsehfilme, 20 Serien und Reihen, Preise u.a. Filmband in Gold
Ariane Zeller, 17 Fernsehfilme, 54 Serien und Reihen
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Beim Kleinen Fernsehspiel führen 50% Frauen Regie und wir machen maximal drei Filme mit derselben Regisseurin/demselben Regisseur. Das könnte auch mal erwähnt werden. Gerade weil immer wieder zu lesen ist, dass Regisseurinnen bestenfalls einen Erstlingsfilm machen und danach nicht weiterkommen.
Meine volle Unterstützung gilt Ihrem/Eurem Anliegen, mehr Regisseurinnen nach ihren ersten Filmen zu beschäftigen.
Liebe Claudia Tronnier,
in der Tat ist das kleine Fernsehspiel eine rühmliche Ausnahme in der Statistik. Jedoch beweist das gerade unsere These: Am Anfang der Karriere sind die Zahlen noch einigermaßen ausgeglichen. Der Knick kommt, wenn es um den weiteren Karriereverlauf geht. Der 2. BVR Diversitätsbericht zeigt deutlich, im ZDF führen nur 8% Frauen Regie. Die meisten Filme und Serien werden von Männern zwischen 50 und 60 gemacht. Hier geht es darum, das was im kleinen Fernsehspiel noch so gut funktioniert in das Prime-Time Programm des Senders zu transportieren: Mehr Diversität und Gendergerechtigkeit! Das kommt letztlich dann auch den Sendern und Produkten zu Gute. Es ist doch unverständlich, wenn man in unserer Filmlandschaft auf die Hälfte der Talente verzichtet: Mehr Auswahl und mehr kreativer Wettbewerb führen zu besseren Filmen.