dieser Artikel ist von SchspIN…interessante Zahlen.
Heute – in fünf bunten Bildern – geht es um die Top 100 deutschen Kinofilme 2013: die Genres, die Frauenanteile in den Bereichen Regie, Drehbuch und Produktion, das Alter und Geschlecht der erstgenannten Rollen. Dazu eine Untersuchung der Top 20 deutschen Kinofilme 2001 bis 2013 in den genannten Positionen, und schließlich ein kurzer Blick auf von der FFA im Jahr 2013 geförderte Filmprojekte.
Die Liste der 100 an den Kinokassen erfolgreichsten deutsche Kinofilme stammt von der Filmförderungsanstalt FFA. Auf Platz 1 FACK JU GÖHTE, Regie und Drehbuch Bora Dagtekin, erstgenannte Rolle: Zeki Müller (Elyas M’Barek). Der Film ist übrigens auch die Nummer 1 der internationalen Liste, d.h. aller Filme in deutschen Kinos 2013, mit gut 5,6 Mio. verkauften Eintrittskarten. Auf Platz 100 der deutschen Produktionen steht STAUB AUF UNSEREN HERZEN, Regie und Drehbuch Hanna Doose, erstgenannte Rolle: Chris (Susanne Lothar).
Jetzt aber die Auswertungen. Die folgende Abbildung zeigt die Genrezusammensetzung der 100 Filme, aufgeschlüsselt nach Filmen von Regisseurinnen (blau) und Regisseuren (rosa), dazu jeweils gestreift die Vergleichswerte aus dem Vorjahr 2012.
Insgesamt stehen 2013 Komödien und Dramen an der Spitze gleichauf mit je 29 %. (2012: Komödien 37 %, Dramen 19 %).
Wem es aufgefallen ist, genau, die Abbildung zeigt nicht 100 Filme (79 + 18 = 97). Drei Produktionen bleiben unberücksichtigt, da sie gemischte Regieteams hatten: die Spielfilme 00 SCHNEIDER, IM WENDEKREIS DER EIDECHSE (Helge Schneider und Andrea Schumacher) und CLOUD ATLAS (Tom Tykwer, Andrew Wachowski, Lana Wachowski), sowie der Dokumentarfilm DIE OSTSEE VON OBEN (Silke Schranz, Christian Wüstenberg).
Die höchstplatzierten Filme von Frauen sind wie im Vorjahr Kinderfilme: 2013 auf Platz 9 und 10 HANNI UND NANNI 3 (Dagmar Seume) und OSTWIND – ZUSAMMEN SIND WIR FREI (Katja von Garnier) – 2012 waren es HANNI UND NANNI 2 (Julia von Heinz) auf Platz 5 und YOKO (Franziska Buch) auf Platz 11. Allerdings ist der Kinderfilm nicht mehr das am meisten vertretene Genre unter Regisseurinnen, das ist diesmal mit 50 % (9 Filme) das Drama. An zweiter Stelle folgen mit 22 % Kinderfilme und Komödien.
Bei den Männer nehmen wie im Vorjahr die Komödien den Spitzenplatz ein, allerdings nur noch mit 30 % (2012: 43 %), gefolgt von Drama 25 % und Kinderfilmen 18 %.
Die folgende Abbildung zeigt die Frauen- und Männeranteile in den Gewerken Regie, Drehbuch und Produktion sowie bei den erstgenannten Rollen der Top 100 und der Top 20 (gestreift):Der Anteil der Filme von Regisseurinnen unter den Top 100 Kinofilmen lag 2013 bei 19 %, bei den Top 20-Filmen sogar nur bei 15 % – im Vorjahr 2012 waren das noch 24 % für die Top 100 und 23 % für die Top 20, was in etwa dem Frauenanteil im Regieverband und in der Crew United Datenbank entspricht. Die Werte für Drehbuch (23 %) undProduktion (19 %) sind auch nicht hoch.
Warum? Gibt es in unserer Filmbranche das, was die bosnische Regisseurin Jasmila Žbanić ironisch Die Decke aus Celluloid nennt? (siehe Berlinale 2014 und die Decke aus Celluloid) Egal welche Filmgruppen ich bis jetzt untersucht habe, der Anteil der Regisseurinnen liegt nie über 25 %, oft weit darunter, auch das Potenzial an Drehbuchautorinnen wird nicht ausgeschöpft, mehrheitlichst erzählen uns nach wie vor Männer ihre Geschichten.
Was heißt das jetzt? Sind Filme von Frauen fürs Publikum nicht attraktiv? Oder bekommen sie nicht genug Geld zusammen, um einen Film zu machen? Gibt es zu wenige Frauen, die (sich trauen) Kinospielfilme (zu) machen? Es sind ja nicht alle Filme Autor/innenfilme, also sollten wir auch der Frage nachgehen, ob Produktionsfirmen eher Männer als Frauen mit ihren Filmen beauftragen. Dafür wäre eine Auswetung des Regisseurinnenanteils bei den Projekten der deutschen Produktionsfirmen nötig, aber das ist ein Thema für einen anderen Tag.
Es gibt Länder, in denen der Regisseurinnenanteil noch niedriger ist, zum Beispiel die USA, dort waren 2013 nur 2 der Top 100 Filme von einer Frau inszeniert, aber das ist kein Trost für Deutschland (vgl. Stacy Smith et al. “The Real Fiction In Hollywood“, Forbes 25.2.2014)
Vor ein paar Monaten hatte ich in Vive la Nouvelle Révolution du Cinéma! die 2012er Filmförderung der FFA ausgewertet, 20 % der geförderten Projekte Filme von Regisseurinnen, sie erhielten 18 % der Fördersumme – das ist sehr nah an dem 2013 Regisseurinnenanteil (19 %). Natürlich ist die FFA nicht die einzige Quelle von Fördergeldern, und schon gar nicht die einzige Finanzierungsmöglichkeit für einen Film, aber vielleicht ist der Wert ein Indikator? Ich hoffe nicht! Denn die folgende Abbildung zeigt, dass die Werte für 2013 noch schlechter sind, und das wäre kein guter Vorbote für 2014. (Drei Filme sind Regieteamarbeiten: DER KLEINE RABE SOCKE – DAS GROSSE RENNEN (Ute von Münchow-Pohl,Sandor Jesse), MULLEWAPP – EINE SCHÖNE SCHWEINEREI (Tony Loeser, Jesper Möller) und UNKNOWN ERROR (Simon Verhoeven, Philip Koch) – deshalb 55 Projekte und 58 Regisseur/innen.)Nur 7 (sieben) Filme von Regisseurinnen erhalten eine FFA-Förderung, das entspricht 13 % der Gesamtfördersumme oder 2 Mio. €, gegenüber 51 Filmen von Regisseuren, die 87 % (= 13,66 Mio. € insgesamt) bekommen.
Die Top 7 geförderten Filme (angeführt von GESPENSTERJÄGER – AUF EISIGER SPUR von Tobi Baumann, Fördersumme 650.000 €) sind von Männern, der Film einer Frau mit der höchsten Förderung ist MÄNNERHORT von Franziska Meyer Price (430.000 €).
Leider weiß ich nicht, für viele Filme Förderung beantragt wurde und in welcher Höhe. Auch das ist ein Thema für einen anderen Tag.
Aber jetzt schon einmal die Frage: was unternimmt die FFA, was unternehmen die Länderförderungen u.a.m., um Regisseurinnen zu ermutigen, Gelder für ihre Filmvorhaben zu beantragen?
Es gibt natürlich deutlich mehr als 7 Regisseurinnen in unserem Land. Der Regieverband hat 638 Mitglieder, davon knapp 160 Regisseurinnen, und in der Crew United Datenbank werden für Deutschland 1295 Regieleute aufgeführt, davon in etwa 320 Regisseurinnen.
Leider kenne ich auch weder die Altersverteilung der Regisseur/innen in Deutschland noch die Zahlen den Filmhochschulen. Ich habe gerüchteweise gehört, dass gegenwärtig in etwa gleichviele Regisseurinnen und Regisseure ausgebildet werden. Stimmt das? (Wann) macht sich das bemerkbar? Gibt es bei Regisseurinnen auch einen Kinderbetreuung-ist-weiterhin-überwiegend-Frauensache-Karriereknick? Stoßen Frauen nach den ersten Berufsjahren an die Decke aus Celluloid? Viele offene Fragen.
Aber egal von welcher Seite wir es betrachten, dass nur 7 (sieben) Filme von Regisseurinnen in der FFA-Liste auftauchen ist neutral gesagt erstaunlich.
Nochmals: ich hoffe sehr, dass es keinen Zusammenhang zwischen der FFA-Liste und den tatsächlich produzierten Filmen gibt, denn sonst steht uns 2014 ein noch schlechteres Filmjahr bevor. Ich schreibe bewusst Filmjahr und nicht Regisseurinnenjahr, denn es ist kein Ausschöpfen der vorhandenen Kreativität, wenn nur Männerfilme produziert werden. Und das ist tatsächlich keine Kritik an Filmen von Regisseuren, sondern nur an der tendenziellen Monokultur in der Filmlandschaft.
Um einmal über ein Jahr hinaus bzw. zurück zu blicken habe ich alle Jahres-Top-20-Listen der deutschen Filme im 21. Jahrhundert betrachtet, das sind immerhin 13 Jahre (je 100 Filme auszuwerten war leider zu viel Arbeit).Betrachten wir zunächst einmal die gelbe und die blaugrüne Linien: Produzentinnen und Regisseurinnen. Es macht nicht den Eindruck, als ob diese Werte in einem Zusammenhang stehen, die Kurven verhalten sich nicht parallel. In den meisten Jahren ist der Produzentinnenanteil indes deutlich höher als der Regisseurinnenanteil, das heißt im Umkehrschluss, dass beide – Produzentinnen und Produzenten – wesentlich häufiger Regisseuren ihre Filme anvertrauen. Allerdings: was auffällt ist der analoge Verlauf der Regisseurinnen- und Erste-Rolle-Linien (blaugrün und hellblau). In einem Jahr mit einem höheren Frauenanteil in der Regie ist der Anteil an weiblichen ersten Rollen höher, das zeigen die Spitzen 2002, 2010 und 2012, und auch die Tiefpunkte 2001, 2003, 2008 und 2011.
Die Kurve der Drehbuchautorinnen (lila) teilt ein bisschen die Bögen der Regie- und Erste-Rolle-Kurven, die größten Abweichungen gibt es wohl zum Verlauf der Produzentinnenkurve. Dazu wäre es natürlich einmal interessant zu erfahren, wie Stoffe den Weg von Autor/in zu Produzent/in gehen.
Achtung, das sind jetzt keine statistischen sondern nur inhaltliche Interpretationen der Kurven. Die Kategorie „Erste Rolle“ ist nur ein Anhaltswert, ein schwacher Ersatz für eine vollständige Auswertung der Besetzungslisten. Natürlich wäre es aussagekräftiger, wenn wir die Statistiken für die Haupt- und Nebenrollen der 100 Filme (2013) oder der 13 x 20 = 260 Filme (2001-2013) vorliegen hätten. Aber das war mir einfach zu viel und ist ein Thema für einen anderen Tag.
Aber an dieser Stelle zumindest eine Altersanalyse der 2013 erstgenannten Rollen in 5-Jahres-Gruppen mit einem – zumindest für mich – sehr überraschenden Ergebnis:
Fast ein Drittel (31 %) aller weiblichen ersten Rollen sind jünger als 20 Jahre, der Spitzenwert – 10 Rollen, 27 % – liegt deutlich in der Gruppe bis 15, bei schauspielenden Kindern und Jugendlichen bis 15 Jahren. Die junge weibliche Zielgruppe wird scheint es expliziter angesprochen als ihre Altersgenossen, nur 2 männliche Erste Rollen (d.h. 4 %) sind unter 15. Und zwischen 31 und 50 scheinen die Ersten Frauenrollen irgendwie zu fehlen. Kamen diese Filme beim Publikum nicht an, oder wurden sie gar nicht erst gedreht?
Bei den männlichen Rollen insgesamt findet sich der Spitzenwert 10 in der Lebensmitte, in der Gruppe der 36 bis 40-Jährigen zu finden, was allerdings nur 19 % entspricht, denn es gibt insgesamt deutlich mehr Männer- als Frauenrollen an Erster Stelle (Faktor 1,4).
Zum Schluss noch ein Blick auf die über 60-Jährigen. Da finden wir 2 weibliche Erste Rollen (= 5,4 %): Marianne Sägebrecht (67) in OMAMAMIA (Regie Tomy Wigand) und die an Alzheimer erkrankte 75-jährige Margarete Sievekingin dem Dokumentarfilm VERGISS MEIN NICHT ihres Sohnes David Sieveking. Bei den Männern sind fünf Erste Rollen (9,4 %) über 60 Jahre alt: Jeremy Irons (64) in NACHTZUG NACH LISSABON (Bille August), Dieter Hallervorden (77) in SEIN LETZTES RENNEN (Kilian Riedhof), Michael Caine (79) in MR. MORGAN’S LAST LOVE (Sandra Nettelbeck), Jean-Louis Trintignant (82) in LIEBE (Michael Haneke) und Henry Hübchen (65) in HAI-ALARM AM MÜGGELSEE (Leander Haußmann).
Die Altersverteilung der Männer erinnert deutlicher an eine normale Altespyramide als die der Frauen (vergleiche auchVon Schauspielerinnen und anderen berufstätigen Frauen), dies aber nur als optische Randbemerkung.
Und dass die Summe der Ersten Rollen nicht 100 ergibt liegt an einer Reihe von Dokumentarfilmen wie z.B. MORE THAN HONEY (Marcus Imhoof), die ohne menschlichen Hauptfiguren auskommen.
Ja, das waren heute sehr sehr viele Zahlen, Auswertungen und Interpretationen – losgelöst von den Filmen an sich, ihren Geschichten und ihrer Fähigkeit, uns zu unterhalten, zu berühren und zu verzaubern.
Ist es nicht eigentlich egal, ob eine Frau oder ein Mann Regie führt? Ist es nicht eigentlich egal, dass nur 68 % der weiblichen ersten Rollen aber 92 % der männlichen ersten Rollen Erwachsene sind?
der Film einer Frau mit der höchsten Förderung ist MÄNNERHORT von Franziska Meyer Price (430.000 €).
Herr-lich!
Danke für diese wunderbare Zusammenstellung. Es ist ja unglaublich, das alles mal tatsächlich in echten Zahlen vor sich zu sehen! MTW